Volles Haus, gute Stimmung und leckere Snacks: Die Buch-Premiere von „Das Haus am Ende der Welt“ am 21. März 2025 im Gemeindesaal der Christuskirche in Bad Vilbel war ein voller Erfolg! Vor 50 Gästen habe ich erstmals aus dem neuen Roman gelesen und im Gespräch mit Pfarrerin Ulrike Mey der Auferstehungsgemeinde Bad Vilbel viele Fragen rund um die Entstehung und die Thematik des Buches beantwortet.
Es war knifflig, aussagekräftige Passagen für den Lesungsteil auszusuchen, die spannend sind und einen Eindruck von der Handlung vermitteln, aber nicht zu viel vorweggreifen – doch das scheint gelungen zu sein. Bereits in der Pause gab es den ersten Ansturm auf den Büchertisch und ich habe gleich den ersten Schwung von „Das Haus am Ende der Welt“ signiert. Auch einige meiner älteren Werke gingen dabei an ihre neuen Besitzer über. Wer nicht schon die Gelegenheit nutzte, sich ein signiertes Buch zu sichern, verwöhnte sich mit den finnischen Snacks, die ich für diesen besonderen Abend gebacken habe: Karjalanpiirakat – karelische Piroggen mit Reisfüllung – und Korvapuustit („Ohrfeigen“) – finnische Zimtschnecken. Ich bin gespannt, wer nach dem Lesen des Buches den kleinen Gag, den ich mir mit den Piroggen erlaubt habe, verstehen wird … Nach der kleinen Stärkung ging es in den Endspurt mit einigen Teasern aus den Höhepunkten des Buches.
Alles in Allem war es ein rundum gelungener Abend mit gespannt lauschenden Gästen und angenehmer Atmosphäre.
Möchtest auch du gerne eine Lesung veranstalten? Frag mich gerne an – ganz einfach per Mail an info@katrinfaludi.de.
Nur noch drei Tage bis zum offiziellen Verkaufsstart … Die Spannung steigt!
Inzwischen gehen die ersten Rezensionsexemplare raus und ich kann die Feedbacks kaum erwarten. Wird das Buch angenommen oder fällt es durch? Schon damals bei „Schattenwald“ habe ich mit großer Nervosität auf die ersten Bewertungen gewartet, denn immerhin handelte es sich um mein Romandebüt.
Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass die Nervosität beim zweiten Buch noch größer sein könnte! (Oder ich habe vergessen, wie sehr mich das beim Debüt fertiggemacht hat.) Mit „Schattenwald“ habe ich die Latte hoch gelegt, jetzt ist ein gewisser Erwartungsdruck zu spüren.
Heute aber durfte ich schon einmal etwas aufatmen: Die erste Rezension hat mich eben erreicht, und zwar von dem bekannten Blog Annis Lesewelt. Dort gab es für das „Haus am Ende der Welt“ volle 5 Sterne! Anna gehört zu den Top-Bloggerinnen, die viele Veröffentlichungen meines Verlags Gerth Medien rezensiert, und deren Urteil ich sehr schätze. Schaut gerne mal bei ihr rein, es gibt viele tolle Bücher zu entdecken.
Rezensionen sind für uns Autorinnen und Autoren enorm wichtig, denn sie helfen dabei, das Buch zu verbreiten. Wenn du mich unterstützen möchtest, dann bewerte meine Bücher gerne auf den gängigen Plattformen. Vielen Dank!
„Putin guckt, als wisse er genau, wer im Fahrstuhl gefurzt hat.“
– Das Haus am Ende der Welt, S. 372
Neulich fragte mich eine Buchbloggerin in einem Interview, mit welcher Figur aus meinem Romandebüt Schattenwald ich mich am meisten identifiziere. Eine spannende Frage, denn meine Antwort lautet nicht automatisch: „Mit Sara, der Hauptfigur, natürlich!“ Vielleicht fühle ich mich sogar ein kleines bisschen mehr mit ihrer Mutter Eva verbunden, die im Buch als Antagonistin auftaucht. Sara habe ich Eigenschaften angedichtet, die nicht so sehr meine eigenen sind: Hartnäckigkeit, Sportlichkeit und eine gewisse Unerschrockenheit. Ich wäre selbst gerne ein wenig mehr wie sie. Das ist das Schöne an Romanfiguren: Man kann sie mit eigenen Wünschen aufladen.
Während ich Sara ein wenig idealisiert habe, tue ich bei Eva das Gegenteil: Sie zaudert mehr als ich, ist misstrauischer und ängstlicher. Aber ich habe ihr eine meiner großen Leidenschaften angedichtet: Sie hat einen Sprachenfimmel – und zwar weitaus stärker als ich selbst. Eva spricht etliche Sprachen fließend (was ich gerne könnte) und legt zu Übungszwecken arabische Buchstaben aus Lakritzschnecken (was mir niemals einfallen würde!). Aber dass ich, wie sie, mit einem Grammatikbuch auf einer Sonnenliege entspanne, kann durchaus vorkommen – nur habe ich währenddessen noch nie ein tragisches Unglück verursacht.
Offenbar lade ich meine Hauptfiguren mit meinen eigenen, als positiv oder negativ empfundenen Eigenschaften auf. Das ist auch in Das Haus am Ende der Welt so. Als meine Lektorin meinte, mein Protagonist Henning sei manchmal „eine ganz schöne Lusche“, hatte sie recht. Das bin ich nämlich auch öfter mal. Genau wie er neige ich gelegentlich zu Feigheit und komme nicht aus dem Quark. Diese zwei Charakterfehler muss der Gute in der Geschichte überwinden, so wie ich in meinem eigenen Leben immer wieder damit kämpfe.
Die weibliche Hauptfigur Taina wiederum ringt um Zugehörigkeit und Unabhängigkeit – ein totales Dilemma, das auch mir selbst nicht fremd ist. Wie oft wünsche ich mir, mein gesamtes Umfeld in die Wüste zu schicken und fürchte mich zugleich davor, einsam zu sein! Wie Taina bin auch ich immer diejenige gewesen, die in ihrer Herkunftsfamilie am Rande stand, weil ich das Gefühl hatte, anders als die anderen zu sein und nicht richtig dazuzugehören. Das ist zu einem Lebensthema für mich geworden, denn ich tue mich grundsätzlich schwer, mich irgendwo wirklich zugehörig zu fühlen.
Wie ich an anderer Stelle schon geschrieben habe: Nichts an der Geschichte habe ich selbst so erlebt und die Figuren sind komplett ausgedacht. Aber natürlich steckt viel von mir drin. Auch mein Hang zu Albernheiten scheint immer wieder durch. Ich hatte großen Spaß daran, die Figur Mikko zu schreiben, Tainas finnischen Cousin, der immer wieder für humorvolle Entspannung sorgt, wenn die Handlung zu sehr ins Schwermütige abzudriften droht. Für ihn habe ich mir einen wunderbaren Running Gag ausgedacht – ganz einfach, weil ich Running Gags liebe. Ein bis zwei tauchen in jeder Geschichte auf.
Wer mir auf Instagram folgt, muss den Eindruck bekommen, dass ich eine durch und durch alberne Person bin. Und es stimmt, wenn es etwas zu scherzen gibt, schmunzele ich nicht nur gerne mal ein bisschen, sondern bin vorne mit dabei. Mir ist sehr bewusst, dass ich den Bogen hin und wieder überspanne. Aber es ist so schwer, aufzuhören, wenn es am schönsten ist! Ich bringe einfach gerne andere Menschen zum Lachen. Auf Instagram habe ich eine wunderbare Spielwiese gefunden und kaspere begeistert darauf herum.
Als ich dort noch neu war und meinen Psychothriller Schattenwald bewerben wollte, schaute ich mir an, wie andere Psychothriller-Autorinnen das machten. Manche gaben sich demonstrativ böse und düster, kokettierten mit ihrer „Abgefucktheit“ und ihrem „kranken Hirn“. Das wirkte auf mich viel zu aufgesetzt. So wollte ich nicht auftreten, denn ich habe zwar einen Thriller geschrieben, bin aber ansonsten eigentlich überwiegend heiter, mit gelegentlicher depressiver Tendenz. Also habe ich beschlossen, mein Profil so zu gestalten, wie es mir Spaß macht. Das war die richtige Entscheidung, auch wenn ich mich followermäßig nie unter den Krimi- und Thrillertanten etabliert habe. Dafür folgen mir viele, die meinen Humor schätzen.
Ich fürchte allerdings, dass durch meinen Social-Media-Auftritt die Erwartung entstanden ist, meine Bücher wären genauso albern wie ich selbst. Wer mich nur über Instagram kennt, wird wahrscheinlich überrascht sein, wie anders Das Haus am Ende der Welt ist. Tiefgründiger und melancholischer als ich mich üblicherweise gebe. Aber – keine Angst! – stellenweise auch wirklich lustig. Denn eine gute Geschichte bildet viele verschiedene Gefühle ab und darf sowohl zum Lachen als auch zum Weinen anregen.
Fazit: Das Haus am Ende der Welt ist ein sehr, sehr persönlich geprägtes Buch, das vieles von dem abbildet, was ich im wahren Leben bin: nach Zugehörigkeit und Unabhängigkeit strebend, mal feige, mal luschig, mal heiter-gelassen oder durchweg albern. Mal tiefgründig und melancholisch, dann wieder zornig und impulsiv. Ein Buch mit vielen Persönlichkeitsfacetten – wie im wahren Leben auch. Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen und Entdecken!
„Gott kann das unmöglich gewollt haben: Ihr Leben, das es gar nicht geben dürfte, den Widerspruch, als der sie lebt und atmet und denkt. Wie soll sie jemals wieder Würde empfinden können?“
– Das Haus am Ende der Welt, S. 371
Einer der aufregendsten Momente im Schriftstellerleben ist es, erstmals ein Rohmanuskript an Testleser herauszugeben. Wenn nach einiger Zeit die erste E-Mail mit dem Betreff „Feedback“ eintrudelt, schießt mir jedes Mal das Blut in den Kopf, und ich traue mich zunächst gar nicht, darauf zu klicken. Was, wenn das, worin ich viele Monate lang mein ganzes Herzblut hineingeschüttet habe, neben höflichem Eingangslob vor allem auf Kritik stößt? Wenn mein Text längst nicht so genial ist, wie mein verletzliches Ego es sich erhofft hat?
Vor gut einem Jahr schickte ich die Rohfassung von Das Haus am Ende der Welt an meinen Testleserkreis und bat aufgrund des großen Umfangs von über 500 Normseiten um Feedback innerhalb von sechs Wochen. Ich richtete mich auf langes Zittern ein, doch die ersten Rückmeldungen trafen schon nach drei oder vier Tagen ein. Das war ein gutes Zeichen. Eine Leserin schrieb, sie habe sich mit dem Manuskript fast die gesamte letzte Nacht um die Ohren geschlagen, weil sie so tief in die Geschichte abgetaucht war.
Dieses Lob wirkte sich sehr positiv auf meinen Blutdruck aus. Der Schluss fiel zwar komplett durch (viel zu heiteitei), aber das war kein Drama. Nach zwei Überarbeitungsdurchgängen fand ich ein stimmiges Ende, das genug Stoff zum Weiterdenken bietet.
Trotzdem gaben mir die ersten beiden Testleserinnen eine harte Nuss zu knacken: „An den Stellen, an denen es um Gott ging, bin ich komplett ausgestiegen!“, lautete die Kritik unter anderem. Das hatte ich befürchtet und ein Stück weit auch erwartet, weil ich wusste, dass die beiden Leserinnen nicht gläubig sind. Sie empfahlen mir, von meinem christlichen Verlag wegzuwechseln, den Glauben aus künftigen Büchern rauszulassen und mir einen „richtigen“ Verlag zu suchen, weil ich „so viel mehr könne als das“.
Das kann ich nachvollziehen. Und ich schließe auch keinesfalls aus, mein Glück später vielleicht bei einem „normalen“ (sprich: säkularen) Verlag zu suchen, wohl wissend, dass es extrem schwer ist, bei den großen Publikumsverlagen unterzukommen. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dies sei nicht mein Ziel.
Momentan jedoch bin ich bei meinem kleinen christlichen Verlag unter Vertrag, habe ein sehr gutes Verhältnis zu den Mitarbeitenden dort und erfahre viel Wertschätzung für meine Arbeit. Dieses Haus hat es mir überhaupt erst ermöglicht, Schriftstellerin zu werden und dafür bin ich sehr dankbar. Wohin mich mein Weg künftig führen wird, ist mir im Augenblick überhaupt nicht klar. Ich konzentriere mich jetzt erst einmal darauf, dass Das Haus am Ende der Welt erscheint.
Natürlich lautet die Vorgabe in einem explizit christlichen Verlag, eben solche Inhalte zu vermitteln, was für mich grundsätzlich kein Problem ist, da ich gläubige Christin bin. Ich sehe jedoch auch, dass es immer schwieriger wird, Glaubensinhalte zu kommunizieren. Der Gegenwind wird rauer. Unsere Gesellschaft ist in weiten Teilen säkular, Glaube gilt als Privatsache, und man wird kritisch oder mitleidig beäugt, wenn man anderen mit seinen naiven Vorstellungen vom „lieben Gott“ zu nahekommt. Das ist mir bewusst. Ich war selbst einmal Atheistin und habe mit Verachtung auf alles Christliche herabgeschaut, weil ich es für überholt und unnötig hielt. Deshalb kann ich Kritik aus dieser Richtung sehr gut nachvollziehen.
Inzwischen prägt der Glaube mein Leben und damit auch mein Schreiben. Selbst wenn ich ihn nicht explizit in meine Geschichten einbaue, scheint er doch mit meinen Werten durch. In meinen Büchern im christlichen Verlag baue ich ihn in dezenter Weise ein.
Das ist jedes Mal eine extreme Gratwanderung. Ich möchte, dass meine Bücher für alle lesbar sind: Christen, Anders- oder Nichtgläubige. Das ist mir bei Schattenwald meines Erachtens gut gelungen. Von hundert begeisterten Rückmeldungen mokierten sich vielleicht ein oder zwei Leserinnen über das „Gottgeschwurbel“ an zwei Stellen im Buch. Manche nichtgläubige Leserinnen äußerten sich sogar überrascht darüber, dass ein christliches Buch sich so gut lesen ließ, denn sie hatten den „Holzhammer“ erwartet. Auf überfrommes Gesülze reagiere ich aber selbst allergisch.
Ich finde es sehr schwierig, Glaubensinhalte so in ein Buch einzuweben, dass sie einerseits bei „religiös musikalischen Menschen“ die richtigen Saiten zum Schwingen bringen, andererseits aber keine Leser vergraulen, die damit gar nichts anfangen können. Vielleicht ist das auch kaum möglich, man kann schließlich nicht alle zufriedenstellen.
Im Austausch mit Autorinnen aus christlichen Verlagen habe ich erfahren, dass sich fast alle solche Gedanken machen: Was können wir tun, damit unsere Bücher auch außerhalb der „christlichen Bubble“ wahrgenommen werden? Wie gewichten wir die Glaubensthemen und wie kommunizieren wir sie, ohne Leser damit abzuschrecken?
Ich begnüge mich zurzeit mit dem Gedanken, dass meine Leserinnen und Leser erwachsene Menschen sind, die das für sich selbst differenzieren können und toleranzfähig sind. So wie ich bei durch und durch atheistischen Romanen wie Eine Frage der Chemie am Ende sagen kann: „Die Geschichte war gut, aber die atheistischen Stellen haben mir nicht gefallen. War insgesamt aber ein lesenswertes Buch.“ So ungefähr wünsche ich mir das auch bei meinen Leserinnen und Lesern.
Und falls die Geschichte doch jemanden dazu anregt, seinen Standpunkt zu überdenken, finde ich das schön. Die Credits dafür gebe ich dann gerne weiter „nach oben“.
„In dem Moment kommt Mikko um die Ecke, in seinen unvermeidlichen schwarzen Gummilatschen und mit einem Plastikbeutel in der Hand, dessen Inhalt wie türkische Pide aussieht. Mit zusammengezogenen Brauen mustert er mich, wie ich da tropfnass in Badehosen neben meinem Koffer stehe und auf die verschlossene Tür starre. ‚Stör ich?‘ ‚Ganz und gar nicht. Vielleicht kennst du ein finnisches Zauberwort, um diese Tür hier aufzukriegen?‘ ‚Alohomora‘, schlägt er vor. Das klingt in der Tat finnisch.“
– Das Haus am Ende der Welt, S. 191
Ich war schon als Kind ein ziemlicher Geek. Mit 9 Jahren ging ich meiner Umwelt mit einem ausgeprägten Dinosaurierfimmel auf die Nerven. Mit 11 Jahren zerschnitt ich meine Pferdezeitschriften, gestaltete daraus neue Magazine und verschenkte sie weiter, was mich zum Gespött der cooleren Klassenkameradinnen machte, die das kindisch fanden. Mit 13 übersetzte ich mir im Schwedenurlaub aus lauter Langeweile meine Comic-Magazine von der Supermarktkasse mit Mutters Schwedisch-Lexikon aus den Sechzigerjahren eigenständig ins Deutsche und entdeckte dabei, dass ich wohl ein Händchen für Sprache habe.
Damit wurde ich zum Sprachen-Nerd – ein eher einsames Hobby für einen Teenager. Ich investierte mein Taschengeld in Sprachführer und Wörterbücher (Isländisch, Norwegisch, und wenn es sein musste, sogar Färöisch), lieh mir in der Bücherei Dänischkurse aus und verabredete mit meiner französischen Brieffreundin, dass wir uns gegenseitig unsere Briefe korrigierten. Am Frühstückstisch studierte ich aufmerksam die fremdsprachigen Zutatenlisten auf Saft- und Müslikartons. Ich liebte das niederländische Wort sinaasappelsap und schüttelte über die vielen Äs, Ös und Ys im Finnischen den Kopf.
Wo wir schon bei Ys und Ös sind: Dieses Finnische wirkte auf mich äußerst mysteriös – oder auch myysteriöös, weil die Sprache in gedruckter Form so aussah, als wäre der Schreiber bei bestimmten Buchstaben auf der Tastatur liegend eingeschlafen. Während mir die meisten Sprachen irgendwie vertraut erschienen und ich vom Skandinavischen gar nicht genug bekommen konnte, so wirkte Finnisch auf mich immer geheimnisvoll und verrückt – ja, fast unantastbar. Es schien, als wolle diese Sprache jeden, der sie nicht kannte, mit ihrem komplexen Aussehen auf Distanz halten.
Aber nicht mit mir. Nach meinem Schuljahr in den USA war ich sattelfest im Englischen, ich hatte in der Schule Französisch und etwas Spanisch gelernt und nach dem Abi genug Portugiesisch, um mich bei meinen Reisen nach Brasilien, Portugal und den Kapverden einigermaßen verständigen zu können. An der Uni ging ich während meines Amerikanistik-Studiums drei Semester lang bei den Skandinavisten fremd und belegte Schwedischkurse. Gerne hätte ich auch Finnisch ausprobiert, doch das bot meine Uni nicht an – und als ich im Programmheft der VHS einen Anfängerkurs entdeckte, fiel dieser aus, weil ich als einzige Teilnehmerin erschien. Geek, eben.
Blieb mir nur das Selbststudium. Denn irgendwie ließ mich dieses rätselhafte Konstrukt von Sprache nicht los. Ich wollte das Geheimnis der scheinbar endlosen Wortkaskaden und der angeblich 15 Fälle entschlüsseln. Wie funktionierte das Ganze? Ich investierte mein Geld aus Studentenjobs in Finnisch-Lehrbücher und Grammatiken, stieß jedoch schnell an meine Grenzen. Nach meiner USA-Erfahrung weiß ich, dass man eine Sprache nur in einem Umfeld richtig lernt, in dem sie aktiv gesprochen wird. Aber wer spricht hier schon Finnisch?
Ich habe die Sprache nie richtig erlernt, aber mich die letzten 20 Jahre immer wieder damit beschäftigt. Inzwischen glaube ich, die wesentlichen Funktionen einigermaßen zu durchschauen, ohne Finnisch alltagstauglich sprechen zu können. Trotzdem macht es mir Spaß, Artikel zu enträtseln, Songtexte zu übersetzen und ich folge bestimmt einem halben Dutzend finnischer Sprach-Influencer in den sozialen Netzwerken. Ich habe nicht mehr den Anspruch, die Sprache beherrschen zu wollen. Ich erfreue mich einfach an ihrem Klang, ihren Eigenheiten und dem Gefühl, ein Stück des Geheimnisses für mich gelüftet zu haben.
Natürlich musste ich, wenn ich schon ein Buch schreibe, das in Finnland spielt, auch ein wenig von der Sprache einbauen – einfach, weil ich Spaß daran habe. Deshalb werdet ihr in Das Haus am Ende der Welt immer wieder einige Wörter oder Sätze auf Finnisch finden. Weil ich mir nicht ganz sicher war, ob ich die Sprache richtig angewandt habe, hat eine finnischsprechende Kollegin für mich einen „Bullshit-Check“ durchgeführt, den ich – bis auf eine Kleinigkeit – bestanden habe. Und warum der Kaffee in diesem Fall nicht kahvi, sondern kahvia heißt … ach, das erspare ich euch. Ich hoffe einfach, dass die Freude an der Sprache in Das Haus am Ende der Welt durchscheint, denn damit ist eine meiner großen Leidenschaften in das Buch eingeflossen. Vielleicht steckt sie ja ein wenig an. Das fände ich schön.
„Die Holzhäuser hatten farbenfrohe Dächer. Auf Hinweistafeln und Geschäftsschildern sah sie nur kyrillische Buchstaben, die sie nicht entziffern konnte, und die Stromleitungen spannten sich wie dicke Lakritzschnüre hoch über beiden Straßenrändern. Hin und wieder waren Hundehalter auf einer späten Gassirunde zu sehen. Und Isä hatte immer behauptet, zwischen ihrem Haus und dem Ufer des gewaltigen Ladogasees würde keine Menschenseele leben! Niemandsland, endlose Wälder. Wie viele Lügen hatte er ihr noch erzählt?“
– Das Haus am Ende der Welt, S. 341
Vor einigen Jahren stieß ich im Internet auf ein Spiel, in dem man per Zufallsgenerator auf Streetview an einen beliebigen Ort geworfen wird und allein anhand der Bilder herausfinden muss, wo genau man sich befindet. Für einen Landkarten-Nerd wie mich das perfekte Spiel! Ich scrollte stundenlang wohlig über brasilianische Matschpisten aus roter Erde, folgte französischen Serpentinen und wurde fast wahnsinnig angesichts endloser schnurgerader, eintöniger Landstraßen durch die russische Taiga. Aber: Ich fand immer heraus, wo ich mich auf der Landkarte befand!
Was hat das mit Buchrecherche zu tun? Nun, die oben genannte Buchpassage hätte ich ohne Google Streetview nicht schreiben können. Ein kleiner Teil von Das Haus am Ende der Welt spielt im russischen Teil Kareliens, doch es war mir leider nicht möglich, die Orte selbst zu besuchen. Das ärgert mich im Nachhinein noch immer, denn die genaue Schilderung der Schauplätze ist mir sehr wichtig. Allerdings nehme ich auch Reisewarnungen ernst. So musste ich mich damit begnügen, wenigstens den finnischen Teil der Geschichte – der zum Glück weitaus größer ist – so wahrheitsgemäß wie möglich zu schreiben.
Aber zum Glück gibt es Streetview, um wenigstens einen kleinen Eindruck von den Örtlichkeiten zu bekommen. Man sollte sich allerdings nicht zu sehr darauf verlassen, denn Jahreszeit und Wetter können diesen Eindruck schnell trüben. So habe ich vor meiner Reise ins finnische Karelien bereits die Straßen in der Nähe meines Mökkis mit Streetview erkundet und fand dort eine äußerst deprimierende Landschaft im herbstlichen Nebel vor. Als ich dieselben Straßen dann zu Fuß erwanderte, strahlte die Sonne vom Himmel, die Wiesen blühten und die Einsamkeit der Gegend hatte nichts Düsteres an sich, sondern wirkte äußerst erholsam.
Ich habe aber nicht nur auf Kartendiensten recherchiert, sondern mich zu vielen verschiedenen Themen im finnischsprachigen Internet bewegt. Die Online-Übersetzerdienste waren in diesem Fall Gold wert. Ich las alles, was ich über den finnischen Grenzschutz herausfinden konnte, studierte wissenschaftliche Arbeiten über die Ostgrenze und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung auf beiden Seiten, las Abhandlungen über die Scharfschützen im finnischen Winterkrieg von 1940 und fand auf dem Internetauftritt des finnischen Rundfunks Reportagen über alte Menschen, die ihr gesamtes Leben in Häusern unmittelbar an der russischen Grenze verbracht haben. Ich schmökerte mich durch Flüchtlings- und Schmugglergeschichten, kannte bald die Verhaltensregeln für die Grenzzone auswendig und wusste, dass die Russen angeblich ganz heiß auf eine bestimmte Sorte finnischen Käses waren, sodass dieser in den grenznahen Läden rationiert werden musste.
Kurz gesagt: Das allermeiste von dem, was mir während meiner Recherche begegnete, findet hier zum ersten Mal Erwähnung. In die Geschichte hat es nur ein Bruchteil geschafft. Trotzdem hat mir all das geholfen, die Gegend, über die ich schreiben wollte, ein wenig besser zu verstehen. Nichts davon jedoch kann die Eindrücke ersetzen, die man persönlich vor Ort gewinnt.
Deshalb bedaure ich noch immer, für den kleinen russischen Teil der Geschichte nicht an die entsprechenden Orte gereist zu sein. Sollte ich es eines Tages doch einmal tun, so fürchte ich, mir am Ende die Haare über das zu raufen, was ich da geschrieben habe. Denn auch die Recherche im russischen Internet war alles andere als einfach. Das fing schon bei der Schrift an.
Ich kann kyrillische Schrift lesen, wenn auch nicht so flüssig wie die lateinische. Während ich bei den finnischen Internetseiten zumindest eine grobe Idee davon bekam, worum es ging, stand ich bei den russischen Seiten aber meist völlig auf dem Schlauch. Das Übersetzen mit den üblichen Diensten dauerte länger und war mühsamer. Außerdem waren viele der Informationen, die ich brauchte, kaum zu bekommen. Wie ist der Grenzschutz genau strukturiert? Welche Dienstgrade gibt es? Wo sind die Truppen stationiert? Wie sehen die Gebäude dazu aus? Manches davon bekam ich heraus, anderes nicht. Und je tiefer ich grub, desto größer wurde die Sorge: Was, wenn ich mir dadurch jetzt auch noch irgendwelche Geheimdienstler auf die Fersen hefte? Vielleicht verhalte ich mich mit meinen Suchanfragen zu auffällig? Manchmal wurde mir wirklich etwas mulmig.
Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich mit solcher Recherche verbrachte, aber es waren etliche, und oft reichten sie bis tief in die Nacht hinein. Irgendwann jedoch kommt der Punkt, an dem man Recherche Recherche sein lassen und anfangen muss zu schreiben. Das fiel mir beim russischen Teil schwer, da ich das Gefühl hatte, nicht so authentisch darüber schreiben zu können wie über den finnischen. Dort steckt weitaus mehr Fantasie drin, und das lasse ich nun so stehen.
Aber irgendwann – wenn die politische Lage es wieder zulässt – werde ich mir die Grenze von der anderen Seite ansehen! Wer weiß, wozu mich das inspiriert?
„Und nun steht Taina sich selbst gegenüber, sieht das verlorengegangene, unerreichbare Ufer in sich, das Land, das einmal zu ihr gehört hat, und das sie nicht mehr betreten darf, weil Henning es so bestimmt hat. Nicht nur Staaten rauben einander Territorien, Menschen tun es genauso – und behaupten hinterher, sie hätten doch Gutes getan.“
– Das Haus am Ende der Welt, S. 267
Als ich im Juni 2023 auf dem Steg saß, meine Füße in den finnischen Grenzsee baumeln ließ und auf das nur wenige hundert Meter entfernt liegende russische Ufer blickte, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass dieser Landstrich nur ein halbes Jahr später in den deutschen Abendnachrichten auftauchen würde: Finnland schließt alle Grenzübergänge nach Russland. So geschehen Ende November desselben Jahres. Finnland warf Russland vor, als hybride Kriegsmaßnahme große Gruppen von Migranten gezielt über die Grenze zu schicken.
Mein Vermieter, ein pensionierter Grenzsoldat, hatte bei unserem Treffen im Sommer genau das vorausgesagt: Russland werde in großer Zahl Asylbewerber über die finnische Grenze schleusen, um auf diese Weise das Land zu destabilisieren. Deshalb habe man begonnen, einen mehrere Meter hohen Grenzzaun mit Stacheldrahtkrone zu bauen.
Inzwischen ist der Zaun Realität. Entlang seiner 1.300 Kilometer langen Grenze errichtet Finnland an strategisch wichtigen Stellen diesen Zaun und investiert in moderne Überwachungstechnologien. In Fernsehberichten äußern sich Bewohner der Grenzregion besorgt über die politische Entwicklung. „Sollte es zu einer russischen Invasion kommen, bekommen wir sie als erste zu spüren“, sagt eine Einwohnerin der Grenzstadt Lappeenranta gegenüber Journalisten.
Die Finnen reagieren nicht ohne Grund nervös. Nachdem das Land 1917 seine Unabhängigkeit vom Zarenreich erlangt hatte, wurde es während des Zweiten Weltkriegs zweimal von der Sowjetunion überfallen. Zwar konnte es seine Eigenständigkeit wahren, doch musste es beträchtliche Teile Kareliens an den bedrohlichen Nachbarn abtreten. Das hat man bis heute nicht vergessen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, auf das andere Ufer des Sees zu blicken und zu wissen: Die Landschaft dort drüben ist dieselbe, doch das Land samt Sprache und Kultur mittlerweile ein ganz anderes. Die Dörfer im Wald auf der anderen Seite tragen noch immer finnische Namen, jedoch werden diese kyrillisch geschrieben. Die Eltern und Großeltern vieler Menschen auf finnischer Seite wurden in jenen Dörfern geboren, doch dürfen sie diese heute nicht mehr besuchen, weil sie im russischen Sperrbezirk liegen. Diese Spannung zog sich wie ein unsichtbarer Zaun mitten durch den friedlichen See. Ich konnte nicht hinübersehen, ohne daran zu denken, dass es zu diesem Zeitpunkt unmöglich war, ans andere Ufer zu gelangen. Gerade das entfachte eine irrationale Sehnsucht, genau das zu tun. Ich wollte gerne in das kleine Ruderboot neben dem Steg steigen, mich in die Riemen legen und am anderen Ufer anlanden – einem Ufer, das genauso aussah wie meines. Doch es war streng verboten.
Unmittelbar hinter der Zufahrt zu meinem Mökki verschwand der Waldweg hinter einer Hügelkuppe. Mein Vermieter verriet mir, dass sich dort im Wald ein Aussichtsturm des Grenzschutzes verberge. Zu sehen war er nicht, denn nur 20 Meter von meiner Zufahrt entfernt verbot eines der typischen Rajavyöhyke-Warnschilder den Zugang zur Grenzzone.
Wie oft blieb ich während der Woche vor diesem und vielen anderen solchen Schildern stehen, mit dem brennenden Wunsch, ein paar Schritte in diese Zone zu machen, obwohl ich wusste, dass es dort nichts zu sehen gab außer den gleichen Bäumen und Sträuchern, die auch hinter mir wuchsen. Durch das dichte Geäst spähte ich nach den weiß-blau geringelten Grenzsäulen, um einen Blick auf die exakte Linie zu werfen, die ein und dieselbe Landschaft in unsichtbare Gegensätze verwandelt. Vielleicht ist es das, was Grenzen so faszinierend macht: Dass das Trennende dem Blick verborgen bleibt und doch alles durchdringt. Dass sie die Macht haben, Vertrautes einander zu entfremden.
Ich wollte kein Buch über die aktuelle politische Situation in der Region schreiben, sondern einen Roman über die Sehnsucht, Grenzen zu überwinden. Für mich ist der Schauplatz in Das Haus am Ende der Welt in erster Linie ein symbolischer und weniger ein politischer. Trotzdem habe ich mich bemüht, die aktuelle Situation so treffend wie möglich wiederzugeben, ohne sie zu sehr zu thematisieren oder Ressentiments zu schüren. Denn es geht nicht nur um das Überwinden von Grenzen, sondern zugleich auch um den Respekt davor.
Letztlich ist auch dies eins der Dilemmata, durch die ich meine Figuren in der Geschichte schicke – äußerlich wie auch auf ihrer inneren Reise.
„Sie schließt die Finger fester um den Kiefernzapfen, bis die stumpfen Schuppen in ihre Handflächen schneiden, denn sie will nicht in solche Traumbilder abgleiten. Aber irgendwie ist sie schuld an allem. Sie weiß nicht, warum. Sie weiß nur, dass.“
– Das Haus am Ende der Welt, S. 203
Was bringt man aus Finnland mit? Weiße Schokolade mit Himbeerstückchen und Salmiaklakritz zum Beispiel. Mumin-Sammeltassen, von denen angeblich jeder finnische Haushalt reichlich besitzt. Die Weingummimischung der Marke Ässä, weil das für mich als hessisch sozialisierten Menschen wie eine Aufforderung klingt.
Mein gewöhnlichstes und zugleich ungewöhnlichstes Souvenir aber sind eine Handvoll Kiefernzapfen. Ich habe sie vom Waldboden rund um mein Mökki aufgesammelt, wo sie massenhaft herumlagen. Natürlich kommt die Gemeine Waldkiefer auch in unseren Gefilden häufig vor, aber ich wollte etwas von dem Ort mitnehmen, den ich zum Schauplatz von Das Haus am Ende der Welt machen wollte. Etwas, das ich immer wieder in die Hand konnte, um die Verbindung zu diesem Ort zu spüren. So reiste ich, neben all den anderen Mitbringseln für meine Familie und mich selbst, mit einer kleinen Tüte voller Kiefernzapfen im Gepäck nach Hause.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, warum diese Zapfen einmal wichtig werden würden. Ich erinnere mich auch nicht mehr, ob ich sie damals bereits gedanklich als Element in die Geschichte eingebaut hatte. Irgendwie fanden sie ihren Weg hinein – und das Merkwürdige ist: Ich wusste selbst nicht, welche Bedeutung die Kiefernzapfen tragen sollten.
Während meiner Schul- und Studienzeit, muss ich zugeben, war ich ziemlich schlecht im Interpretieren von Literatur. Die Bäume, Wälder und Zaunpfähle konnten noch so groß sein – oft begriff ich ihre Bedeutung nicht. Immer wieder staunte ich darüber, was Mitschüler und Kommilitonen alles an Symbolik in Geschichten fanden. Ich selbst schien dafür blind zu sein.
Und nun ist es mir selbst passiert: Ich habe Symbolik als Stilmittel eingesetzt. Je länger ich an Das Haus am Ende der Welt schrieb, desto häufiger drängten sich die Kiefernzapfen als bedeutungstragendes Bild in die Geschichte hinein. Meine Protagonistin Taina schleppt einen ganzen Rucksack voll davon auf ihrer spontanen Flucht von Deutschland in ihre karelische Heimat mit, ohne sich selbst erklären zu können, warum sie die Dinger eingepackt hat. Ich selbst konnte das zunächst auch nicht.
Mir erschien die Sache mit den Zapfen verrückt und einleuchtend zugleich. Sollte ich zu Beginn des Schreibens die wesentlichen Motive und Macken meiner Protagonisten nicht ausreichend ausgelotet haben? Ich bildete mir ein, das getan zu haben, doch dieses Symbol drängte sich hartnäckig auf. Immer wieder greift Taina im Laufe der Geschichte zu den Kiefernzapfen, hält sie in der Hand und zupft an den Schuppen herum. Warum sie davon nicht lassen kann und was sie ihr bedeuten – das konnte ich nicht bewusst benennen. Mir war nur klar: Das Ganze hat eine Bedeutung und sie ist wichtig.
Erst ganz am Ende der Geschichte löst sich das Rätsel um die Kiefernzapfen. Und erst, als ich diese Szene schrieb, begriff ich selbst, was ich damit zum Ausdruck bringen wollte. Plötzlich wurde mir die Symbolik, die sich durch das ganze Buch zieht, klar. Ich begriff, was meine Protagonistin im Innersten wirklich angetrieben hatte. Zwar hatte ich ihr einige Motive angedichtet, aber mit der eigentlichen Triebfeder ihres Handelns hat sie mich in diesem Moment überrascht. Es ergab absolut Sinn, und ich war nach dem Schreiben dieser Szene so beschwingt und glücklich wie bei keiner anderen. Vielleicht war dies sogar mein bisher glücklichster Schreibmoment. Besonders gefreut hat mich später der Kommentar meiner Lektorin an dieser Stelle: Diese Passage ist für mich die beste im ganzen Buch – sehr gut geschrieben!!!!!! Und normalerweise setzt sie Satzzeichen nicht im Rudel.
Kiefernzapfen überall
Was habe ich daraus gelernt? Wenn solche Bilder auftauchen, haben sie eine Bedeutung, und es lohnt sich, darauf zu vertrauen, dass diese sich im Laufe des Prozesses erschließen wird. Während ich Schattenwald sehr detailliert geplant hatte, habe ich Das Haus am Ende der Welt intuitiver geschrieben und mir mehr Raum gegeben, die emotionalen Tiefen der Geschichte auszuloten. Das Unterbewusstsein schreibt mit, aber es kostet Überwindung, es anzuzapfen und seine Motive kommen zu lassen. Wer weiß schon, ob nicht am Ende etwas Peinliches oder Verstörendes dabei herauskommt?
Das war bei diesem Buch nicht der Fall. Aber mich hat am Ende doch überrascht, welches Gefühl aus den Tiefen meines Unterbewussten im Handeln meiner Figur zutage trat. Damit hatte ich nicht unbedingt gerechnet. Das aber sind die Momente, die das Schreiben für mich als Schriftstellerin so wertvoll und beglückend machen. Denn – und das gibt nicht jeder gerne zu – wir schreiben eben nicht nur für euch Leserinnen und Leser, sondern auch für uns selbst. Weil es diesen Drang gibt, Emotionen, die uns im Innersten bewegen, in erdachten Welten zum Ausdruck zu bringen und durch diese Welten andere Seelen zu berühren. Weil wir uns durchs Schreiben selbst besser verstehen lernen.
Was nicht alles in einer Handvoll Kiefernzapfen stecken kann.
„Aber nichts davon hat die erbarmungslose Stimme der Reue in meinem Herzen zum Schweigen bringen können.“
– Das Haus am Ende der Welt, S. 313
„Die eine Sache, die mich gerade wahnsinnig beschäftigt, ist …“
1. März 2021: Ich sitze zu Hause am Laptop, vor mir ein Schreibblock und ein Stift. Es ist die erste Sitzung eines dreimonatigen Online-Schreibseminars zur Entwicklung neuer Romanideen. Mein Debütroman Schattenwald hat einen Verlag gefunden und wird im Sommer 2022 erscheinen. Das Buch ist fertig geschrieben, ich habe Zeit und denke schon an neuen Stoff. Doch leider weiß ich noch nicht, was ich als Nächstes schreiben möchte. Ich hoffe, das Seminar wird neue Inspiration freisetzen, die ich dringend benötige.
Die Dozentin hat uns eben diesen Impulssatz diktiert. Wir haben fünf Minuten Zeit, ihn zu vervollständigen. Nicht nachdenken, einfach intuitiv drauflosschreiben. Von Hand, weil das angeblich die Gedanken besser fließen lässt. Ich schalte die Webcam aus, setze den Stift an und schreibe los:
„Die eine Sache, die mich wahnsinnig beschäftigt, ist die Frage, wo ich hingehöre.“
Als dieser Satz auf die Zeile fließt und viele weitere folgen, ahne ich noch nicht, was sich daraus entwickeln wird. Ich bringe nur die Gedanken und Gefühle zu Papier, die mir in diesem Moment durch Kopf und Herz gehen, und fülle eineinhalb DIN-A4-Seiten. Nachdem die fünf Minuten abgelaufen sind, sollen wir unseren Text nach Schlüsselbegriffen durchsuchen und diese unterstreichen. Ich markiere: Freiheit, Zugehörigkeit, Grenzen, Spannung, Loslassen.
Die Dozentin erklärt, dass eine gute Geschichte ein „universelles Thema“ haben muss. Ein zutiefst menschliches, eines, das jeder Mensch auf der Welt, unabhängig von Sprache und Kultur, versteht. Wenn wir uns vorstellen, wir müssten die Grundaussage dessen, was wir gerade aufgeschrieben haben, jemandem in China erklären, was würden wir sagen?
Ich überlege und notiere schließlich: „Es gibt kein echtes Leben im Falschen.“
Die Schreibübung hat mir gefallen, aber an diesem Tag weiß ich noch nicht, dass vier Jahre später mit Das Haus am Ende der Welt ein Roman erscheinen wird, der auf diesem Satz fußt. In den folgenden drei Monaten entwickle ich im Rahmen dieses Kurses mehrere Ideen, verwerfe viele wieder, verrenne mich und fühle mich im Einzelcoaching mit der Dozentin mehr als konfus. Doch nach und nach schält sich der Ansatz einer Geschichte heraus.
Ich habe zwei Figuren: Henning und seine Tochter Mai, und das Unausgesprochene, das zwischen ihnen steht. Doch woraus besteht dieses Unausgesprochene? Was ist ihr Thema? Welche falschen Glaubenssätze treiben jede dieser Figuren an, und wie lernen sie, ihre Schwierigkeiten zu überwinden? Über welche Hürden muss ich sie schicken? Und warum schreibe ich gerade darüber?
Die Idee braucht zwei Jahre, um zu einem tragfähigen Plot heranzureifen, und noch einmal zehn Monate, bis sie als Rohmanuskript geschrieben ist. Am Ende dieser Zeit nehme ich meine Seminarnotizen aus dem März 2021 wieder zur Hand und staune. Der Satz „Es gibt kein echtes Leben im Falschen“ könnte als Prämisse über der Geschichte stehen. Ich habe ihr zwar ein Motto aus der Bibel vorangestellt, aber dieses sagt etwas sehr Ähnliches aus.
„Jede Autorin, jeder Autor hat ein Thema, das sie oder ihn bewegt“, hat die Dozentin gesagt. Oft zieht sich dieses Thema durch das Gesamtwerk. Es ist ein Thema, das die Person im Innersten bewegt. Bei mir sind es offenbar die Fragen nach Zugehörigkeit und Wahrhaftigkeit. Das scheint auch in Schattenwald durch. Ein universelles Motiv, denn ich bin ja wirklich nicht der einzige Mensch, der sich solche Fragen stellt.
Manchmal werde ich gefragt, wie viel von mir in meinen Geschichten steckt, ob sie in irgendeiner Form autobiografisch seien. Wenn wir nur die reine Handlung und die Figuren betrachten, dann ist alles Fiktion. Nichts von dem, was ich schreibe, habe ich so erlebt. Aber die Fragen und Themen, die die Geschichten tragen, sind meine. Freiheit. Zugehörigkeit. Grenzen. Spannung. Loslassen. Diese Begriffe füllen nicht nur den Rucksack, den ich durch mein eigenes Leben trage – ich fülle damit auch die Taschen meiner Romanfiguren und lasse sie ihre Wege gehen. Sie nehmen dabei andere Abzweige als ich, gehen in einem anderen Tempo, fallen an anderen Stellen auf die Nase. Von ihnen lasse ich die Themen, die mich bewegen, zu anderen Menschen tragen, in der Hoffnung, dass sie verstanden und geteilt werden. Dass sie nachdenklich machen, ermutigen, trösten.
Und noch etwas habe ich einer meiner Figuren in ihren Rucksack gepackt. Aber mehr davon im nächsten Artikel.
„Als Taina von so nahem in seine Augen sieht, passiert etwas mit ihr. Ein Gefühl, als würde irgendwo in den muffigen Teilen ihres Bewusstseins ein Fenster aufgerissen. Eine kräftige Brise strömt durch ihre Erinnerung und bläst eine dicke Schicht Staub weg, der nun vor ihrem inneren Auge wirbelt, sich langsam setzt und den Blick auf das freigibt, was er über lange Zeit verdeckt hat.“
– Das Haus am Ende der Welt, S. 91
Kürzlich schickte mir eine Autorenkollegin diesen Aufkleber:
Diese Warnung hängt nun an meinem Kühlschrank, keine zwei Meter entfernt von dem Ort, an dem ich den größten Teil von Das Haus am Ende der Welt geschrieben habe.
Immer wieder werde ich gefragt: Haben meine Romanfiguren reale Vorbilder? Und wie viel von mir selbst steckt in den Figuren?
Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. In Das Haus am Ende der Welt ist von allem etwas dabei. Jede der Hauptfiguren trägt Anteile von mir, aber anderes an ihnen entspricht mir überhaupt nicht. Auch in manchen Nebenfiguren finde ich mich wieder, in anderen hingegen gar nicht. Manche Figuren haben reale Vorbilder, wie etwa ein Grenzbeamter, der eine kleine Rolle spielt. Bei einer anderen Figur hatte ich eine finnische Popsängerin vor Augen, die ich eine Zeit lang gerne gehört habe, die hierzulande aber unbekannt ist. Einige Figuren sind komplett auf meinem inneren Reißbrett entstanden. Manche begleiten mich schon lange, unabhängig von der Geschichte, andere sind erst sehr kurzfristig hinzugekommen. Und ja, in zwei Fällen bediene ich mich sogar bei Figuren aus Schattenwald.
Den sarkastischen Kriminalkommissar Jens Pieroth, der Sara gehörig auf die Nerven geht, habe ich kurzerhand zum Bruder meines Protagonisten Henning gemacht – ein Einfall, über den ich sehr glücklich bin. Jens stellt sich als wichtiger Katalysator heraus, der den manchmal etwas bräsigen Henning zum Handeln zwingt. Außerdem hat mir diese Enfant-terrible-Figur mit der großen Schnauze einfach Spaß gemacht zu schreiben.
Grundsätzlich ist es so, dass mir zunächst die Figuren einfallen, bevor sich überhaupt eine Art von Geschichte abzeichnet. Sie begleiten mich über lange Zeit. So war es bei der Mutter-Tochter-Konstellation aus Eva und Sara in Schattenwald, und so ist es auch bei dem Vater-Tochter-Duo aus Henning und Mai in Das Haus am Ende der Welt. Lange bevor sich eine Handlung entwickelt, fangen die Figuren in meiner Vorstellung an zu leben.
Zu Beginn herrscht zwischen diesen beiden Charakteren totale Harmonie. Solange dieser Zustand anhält, bleibt eine Geschichte jedoch in weiter Ferne, denn ohne Konflikte, ohne gegensätzliche Wünsche, ohne ein gegeneinander Arbeiten gibt es keine Handlung. Diese entsteht erst, wenn ich ein Element finde, das die beiden Figuren entzweit, sodass sie an gegensätzliche Pole geraten. Jede wird zum Antagonisten der anderen. Dann kann ich mit der Geschichte arbeiten.
Literatur ist ein Vehikel, innere Zustände in sprachliche Bilder zu übersetzen, die von anderen verstanden werden. Die Identifikation mit den Figuren gelingt, wenn Leserinnen und Leser eigene Konflikte in ihnen wiedererkennen. Deshalb hat Identifikation weniger mit dem Geschlecht, Alter oder der sozialen Stellung der Protagonisten zu tun, als es zunächst scheint. Es sind nicht die äußeren Hüllen des 47-jährigen Henning oder der 15-jährigen Mai, die beim Lesen Resonanz erzeugen, sondern ihre Konflikte und Dilemmata. Meine Aufgabe als Schriftstellerin ist es, Figuren zu erschaffen, in denen Leserinnen und Leser Motive aus ihrem eigenen Leben wiederfinden.
Wenn ich eine Geschichte plane, sind meine Protagonisten also schon lange da – und zugleich auch wieder nicht. Anfangs sind sie noch blass, doch im Laufe des Planungs- und Schreibprozesses erreichen sie den Punkt, an dem sie ein Eigenleben entwickeln. Sie schütteln gewissermaßen alle Harmonie und Idealisierung ab und beginnen, Seiten zu zeigen, die ich nicht unbedingt mag oder gutheiße. Weder Henning noch Mai sind im fertigen Buch die Menschen, die ich anfangs im Sinn hatte. Sie sind rauer, fehlerhafter und oftmals sogar unsympathischer, als ich sie mir ausgemalt hatte. Und das ist genau richtig so. Wenn sie sich im Laufe der Handlung von meinen Idealvorstellungen emanzipieren, fangen sie an, zu leben und eigenständig zu werden. Deshalb bedaure und feiere ich es zugleich, wenn sie plötzlich Macken entwickeln. So muss es sein.
Ein weiterer schöner Nebeneffekt: Je mehr Eigenleben die Figuren entwickeln, desto mehr Stoff bieten sie an, der es am Ende nicht in die Geschichte schafft. Das ist einerseits schade (Stichwort: „Kill Your Darlings“), andererseits sorgt es dafür, dass die Figuren am Ende nicht „auserzählt“ sind. Wie geht es am Ende von Schattenwald nun mit Sara und Ramin weiter? Oder mit Leonie? Wird sich Sara mit ihrer Mutter versöhnen, oder entzweit das Erlebte sie noch mehr? In den Köpfen der Leserinnen und Leser leben die Figuren weiter. So wird es auch bei Das Haus am Ende der Welt sein.
Übrigens denke ich über all diese Fragen auch selbst immer wieder nach, denn wenn das Buch geschrieben ist, verschwinden die Figuren, die mich so lange begleitet haben, nicht einfach. Vielleicht formuliere ich ja eines Tages neue Antworten für sie.