„In dem Moment kommt Mikko um die Ecke, in seinen unvermeidlichen schwarzen Gummilatschen und mit einem Plastikbeutel in der Hand, dessen Inhalt wie türkische Pide aussieht. Mit zusammengezogenen Brauen mustert er mich, wie ich da tropfnass in Badehosen neben meinem Koffer stehe und auf die verschlossene Tür starre.
‚Stör ich?‘
‚Ganz und gar nicht. Vielleicht kennst du ein finnisches Zauberwort, um diese Tür hier aufzukriegen?‘
Alohomora‘, schlägt er vor.
Das klingt in der Tat finnisch.“

– Das Haus am Ende der Welt, S. 191

Kanankakka

Ich war schon als Kind ein ziemlicher Geek. Mit 9 Jahren ging ich meiner Umwelt mit einem ausgeprägten Dinosaurierfimmel auf die Nerven. Mit 11 Jahren zerschnitt ich meine Pferdezeitschriften, gestaltete daraus neue Magazine und verschenkte sie weiter, was mich zum Gespött der cooleren Klassenkameradinnen machte, die das kindisch fanden. Mit 13 übersetzte ich mir im Schwedenurlaub aus lauter Langeweile meine Comic-Magazine von der Supermarktkasse mit Mutters Schwedisch-Lexikon aus den Sechzigerjahren eigenständig ins Deutsche und entdeckte dabei, dass ich wohl ein Händchen für Sprache habe.

Damit wurde ich zum Sprachen-Nerd – ein eher einsames Hobby für einen Teenager. Ich investierte mein Taschengeld in Sprachführer und Wörterbücher (Isländisch, Norwegisch, und wenn es sein musste, sogar Färöisch), lieh mir in der Bücherei Dänischkurse aus und verabredete mit meiner französischen Brieffreundin, dass wir uns gegenseitig unsere Briefe korrigierten. Am Frühstückstisch studierte ich aufmerksam die fremdsprachigen Zutatenlisten auf Saft- und Müslikartons. Ich liebte das niederländische Wort sinaasappelsap und schüttelte über die vielen Äs, Ös und Ys im Finnischen den Kopf.

Finnische Waschmaschine

Wo wir schon bei Ys und Ös sind: Dieses Finnische wirkte auf mich äußerst mysteriös – oder auch myysteriöös, weil die Sprache in gedruckter Form so aussah, als wäre der Schreiber bei bestimmten Buchstaben auf der Tastatur liegend eingeschlafen. Während mir die meisten Sprachen irgendwie vertraut erschienen und ich vom Skandinavischen gar nicht genug bekommen konnte, so wirkte Finnisch auf mich immer geheimnisvoll und verrückt – ja, fast unantastbar. Es schien, als wolle diese Sprache jeden, der sie nicht kannte, mit ihrem komplexen Aussehen auf Distanz halten.

Aber nicht mit mir. Nach meinem Schuljahr in den USA war ich sattelfest im Englischen, ich hatte in der Schule Französisch und etwas Spanisch gelernt und nach dem Abi genug Portugiesisch, um mich bei meinen Reisen nach Brasilien, Portugal und den Kapverden einigermaßen verständigen zu können. An der Uni ging ich während meines Amerikanistik-Studiums drei Semester lang bei den Skandinavisten fremd und belegte Schwedischkurse. Gerne hätte ich auch Finnisch ausprobiert, doch das bot meine Uni nicht an – und als ich im Programmheft der VHS einen Anfängerkurs entdeckte, fiel dieser aus, weil ich als einzige Teilnehmerin erschien. Geek, eben.

Blieb mir nur das Selbststudium. Denn irgendwie ließ mich dieses rätselhafte Konstrukt von Sprache nicht los. Ich wollte das Geheimnis der scheinbar endlosen Wortkaskaden und der angeblich 15 Fälle entschlüsseln. Wie funktionierte das Ganze? Ich investierte mein Geld aus Studentenjobs in Finnisch-Lehrbücher und Grammatiken, stieß jedoch schnell an meine Grenzen. Nach meiner USA-Erfahrung weiß ich, dass man eine Sprache nur in einem Umfeld richtig lernt, in dem sie aktiv gesprochen wird. Aber wer spricht hier schon Finnisch?

Ich habe die Sprache nie richtig erlernt, aber mich die letzten 20 Jahre immer wieder damit beschäftigt. Inzwischen glaube ich, die wesentlichen Funktionen einigermaßen zu durchschauen, ohne Finnisch alltagstauglich sprechen zu können. Trotzdem macht es mir Spaß, Artikel zu enträtseln, Songtexte zu übersetzen und ich folge bestimmt einem halben Dutzend finnischer Sprach-Influencer in den sozialen Netzwerken. Ich habe nicht mehr den Anspruch, die Sprache beherrschen zu wollen. Ich erfreue mich einfach an ihrem Klang, ihren Eigenheiten und dem Gefühl, ein Stück des Geheimnisses für mich gelüftet zu haben.

Flughafenbuchhandlung in Helsinki

Natürlich musste ich, wenn ich schon ein Buch schreibe, das in Finnland spielt, auch ein wenig von der Sprache einbauen – einfach, weil ich Spaß daran habe. Deshalb werdet ihr in Das Haus am Ende der Welt immer wieder einige Wörter oder Sätze auf Finnisch finden. Weil ich mir nicht ganz sicher war, ob ich die Sprache richtig angewandt habe, hat eine finnischsprechende Kollegin für mich einen „Bullshit-Check“ durchgeführt, den ich – bis auf eine Kleinigkeit – bestanden habe. Und warum der Kaffee in diesem Fall nicht kahvi, sondern kahvia heißt … ach, das erspare ich euch. Ich hoffe einfach, dass die Freude an der Sprache in Das Haus am Ende der Welt durchscheint, denn damit ist eine meiner großen Leidenschaften in das Buch eingeflossen. Vielleicht steckt sie ja ein wenig an. Das fände ich schön.

Fotos: (c) Katrin Faludi


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